Abschied Gastfamilie und Reflexion meiner Au-pair Zeit

Abschied

Woche 23… Tag 156 bis 161
Nachdem ich nochmal ein paar Tage gearbeitet habe, das Wochenende bei 40 Grad mit meinem Gastvater und Ali mit Filmnachmittagen, Sandwiches und einem 5km Lauf mit Hunderten von anderen teilgenommen habe, kam schon schneller als gedacht der Tag, an dem ich meiner Gastfamilie auf Wiedersehen sagen musste. An dem Tag Rucksack gepackt, Zimmer leer geräumt und sauber gemacht, Bad geputzt. Checkliste abgearbeitet.
Mein Flug ging kurz vor Mitternacht, sodass ich mit meiner Gastfamilie vorher noch in einem Restaurant mit Blick aufs Meer zu Abend gegessen habe. Währenddessen haben meine Gasteltern mir ganz viele Reisetipps gegeben und mich außerdem mit einem lieben Brief und einem Gutschein für eine Great Barrier Reef Tour und eine Tour zum Daintree Regenwald geschenkt. Wow!
Ich hatte einen fünfzehnminütigen Abschiedsfilm für Ali vorbereitet, als kleine Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit. Es war sehr emotional, als wir uns den Film alle zusammen mit den Großeltern angeschaut haben. Es sind mehrere Tränen geflossen. Vor allem die Großmutter war total süß und meinte, es wäre schön gewesen, dass ich für eine gewisse Zeit in deren Leben getreten bin. Dann gab es noch „Family Cuddle“ mit meinen Gasteltern und Ali, der ich dann schon Tschüss sagen musste.
Bis zum Flughafen haben mich dann meine Gasteltern gebracht. Es sei schön gewesen, mein Lachen in ihrem Haus gehabt zu haben. Danke, dass ich auf ihre Tochter so toll aufgepasst habe. Das Haus würde sich nun leer anfühlen.
Und so gingen super schnell über fünf Monate mit meiner Gastfamilie vorbei. In der Zeit habe ich so viel gelernt und für mich mit genommen, dass ich dachte, all das reflektierend zu teilen.

Reflexion meiner Au-pair Zeit

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich meine Suche nach meiner Gastfamilie gestartet. Habe unfassbar viele Familien angeschrieben und oft feststellen müssen, dass ich wohl keine Familie finde, die all meinen Wunschvorstellungen entspricht. Diese waren, eine Familie zu finden, die meine Werte teilt, ein Mädchen hat und in Perth wohnt. Und so sollte es ja dann auch kommen. Ich fand eine vegane Familie mit einem süßen dreijährigen Mädchen, die in Perth wohnt. Die Gasteltern interessierten sich für ausnahmslos alles, was seit kurzer Zeit auch einen großen Teil in meinem Leben einnahm. Gesunde Ernährung, aktiv sein, Yoga, Meditation. Außerdem haben sie alles in ihrem Leben umgesetzt, von dem ich an diesem Zeitpunkt geträumt habe. Sie sind selbstständig, schicken ihre Tochter zu keinem Kindergarten oder zur Schule sondern streben Homeschooling an, wechseln ständig ihr zu Hause und haben bereits für längere Zeit auf einer Yacht und in einem CamperVan gewohnt. Alles schien so perfekt zu meinen Lebensvorstellungen zu diesem Zeitpunkt zu passen. Zufall?
Aber: Es ist nicht alles so perfekt wie es manchmal scheint. So interessant es auch war, diesen Lifestyle mitzuerleben, habe ich doch für mich gemerkt, was ich wirklich in meinem Leben möchte.
  1. Selbstständig sein
Ich habe mich während der Abizeit schon sehr viel mit den Vorteilen beschäftigt. Auch meine Gasteltern sind sehr zufrieden mit ihrem jeweils eigenen Business. Ich habe durch sie einen guten Einblick bekommen. Meine Gastmutter hat mich wie berichtet zu Events mitgenommen, die sich mit dem Thema Unternehmensgründung beschäftigen. Studium oder Ausbildung war für mich abgeschrieben und ich wollte nach meiner Zeit in Australien was eigenes starten. Null Ahnung, was. Kein gutes Gefühl dabei, aber ich war schon sehr von der Ansicht überzeugt, dass es cooler wäre, einen anderen Weg als alle anderen zu gehen. Sich abzuheben. Doch was will ich wirklich?
Die Zeit, die ich mit meinem Bruder auf unserem Roadtrip verbracht habe, war definitiv augenöffnend. Mir ist endlich wieder bewusst geworden, was ich ganz persönlich für einen Weg einschlagen will. Was mir ein gutes Gefühl gibt. Ich habe es nicht vollständig abgeschrieben, eines Tages etwas eigenes zu machen. Ich will es aber nicht erzwingen. Warum nicht erstmal etwas studieren, was mich jetzt gerade interessiert? Einen Beruf anstreben, der mich schon beim Gedanken daran mit Freude erfüllt, statt zu schauen, was ausgefallen ist.
  1. Kindererziehung
Ebenfalls bereits vor der Zeit in Australien habe ich mich viel mit Positive Parenting beschäftigt. Wie man Kinder achtsam erzieht, ihnen Selbstbewusstsein und Selbstliebe mit auf den Weg gibt. Meine Gasteltern haben sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, zig Bücher gelesen.
Ich finde so viele Aspekte ihrer Erziehung nach wie vor sehr inspirierend. Dennoch ist mir bewusst geworden, dass trotz des ganzen Bewusstseins und der Kenntnisse der psychologischen und pädagogischen Hintergründe nicht immer alles perfekt läuft. Ich bin froh so viel zu dem Thema gelernt zu haben, habe auf der anderen Seite aber viel mehr gelernt, dass es insgesamt um die Liebe geht, die man dem Kind entgegenbringt. Aus Liebe zu handeln, nicht aus Angst. Zeit schenken. Das Kind als ganzen Menschen zu sehen und es auf Augenhöhe behandeln. Alle Gefühle anerkennen und dem Kind zu verstehen geben, dass jedes einzelne davon in Ordnung ist und dazu gehört. Zu verstehen geben, was man vom Kind will und nicht, was man nicht will. Emotionsschwankungen nicht persönlich nehmen. Bei sich selber anfangen, da das Kind einen spiegelt – vermutlich das wichtigste, dass Ali mir gezeigt hat.
Im Kontrast zu dem Leben meiner Gastfamilie ist mir aber vor allem bewusst geworden, wie dankbar ich für meine eigene Kindheit und meine Familie bin.
  1. Aufwachsen ohne Kindergarten und Schule
Sich gegen Kindergarten oder Schule entscheiden. Aufgrund der unnötigen Dinge, die man lernt, dem Notensystem, dem Mobbing,…
Ich kann all die Gründe sehr gut nachvollziehen und habe mir vor der Reise viele Gedanken drüber gemacht, alles in Frage gestellt.
Dann war ich hier und habe gemerkt – was ist mit den ganzen sozialen Kenntnissen? Gemeinschaft? Den Freundschaften, die fürs Leben entstehen? Dem umfangreichen Wissen? Klassenfahrten?
Vor allem die Zeit im Kindergarten und der Schule ist mir im Endeffekt so positiv in Erinnerung geblieben. Ich bin nun viel mehr der Ansicht, dass man lieber aktiv genau den Unterschied macht, den man sich im Schulsystem oder im Kindergarten wünscht, statt sich über die Umstände zu beschweren und aus dem Weg zu gehen. Und auch wichtig: Es ist nichts nur gut oder nur schlecht. Kein schwarz oder weiß, sondern vielmehr ganz viele Grautöne.
  1. Australien als scheinbar besseren Ort zum Leben
Wie froh bin ich, meine Heimat endlich richtig schätzen gelernt zu haben. Es kommt immer auf die Perspektive an und ich finde nicht, dass man sagen kann, dass das Leben in Australien per se besser ist. Die Frage ist: Wie lebst du dein Leben, nicht wo.
Ganz nebenbei: Die sehr verschiedenen Jahreszeiten sind doch so cool! Vor allem der Winter in der Weihnachtszeit hat mir bis jetzt am meisten gefehlt.
  1. Verantwortung
Bevor ich herkam, hatte ich kaum Erfahrung – weder mit Kindern, noch im Haushalt. Das hat sich kurz gesagt nun zum kompletten Gegenteil verwandelt. Ich bin so viel verantwortungsbewusster und hilfsbereiter geworden.
  1. Spontanität
Wer mich kennt, weiß dass ich sehr gerne am planen und organisieren bin. Nicht einfach in den Tag hineinlebe. Das sollte in meiner Gastfamilie wohl zur Herausforderung für mich werden – mehr Spontanität geht nicht. Nun bin ich an dem Punkt, wo ich ein Mittelmaß zwischen beidem ideal finde. Mehr Gelassenheit und weniger Stress.
  1. Heimweh
Pure Dankbarkeit für all die lieben Menschen zu Hause – Familie und Freunde. Wer meldet sich und interessiert sich wirklich. Vorfreude, wieder Zeit mit ihnen zu verbringen.
  1. Wer bin ich

Es gibt ein Zitat von Dr. Joe Dispenza, das perfekt beschreibt, wie ich mich zurzeit fühle.

„And when I wasn’t around anyone who could help me recall this personality that the world might know as me, I wasn’t sure who I was anymore.“

Ich bin in einem komplett neuen Umfeld. Bis vor einem halben Jahr wusste hier niemand, dass ich überhaupt existiere. Wenn dich niemand kennt und dir indirekt zeigt, wer du bist, fragst du dich erstmal wirklich, wer du denn eigentlich bist.

Dazu trägt auch bei, dass ich hier sehr viel Zeit alleine verbracht habe, sodass ich viel Zeit zum nachdenken hatte.
  1. Au-pair
Ein so tolles Konzept. In eine neue Kultur eintauchen, den Horizont erweitern, dabei Geld verdienen und einen festen Wohnsitz haben. Ich war im Großen und Ganzen mehr als zufrieden mit meiner Gastfamilie und hätte wohl keine Familie finden können, die zu dem Zeitpunkt besser zu mir gepasst hätte. Dennoch habe ich für mich gelernt, dass ich zwar sehr gerne nochmal als Au-pair arbeiten würde, dann aber für eine kürzere Zeit, zentraler in einer Stadt um mehr soziale Kontakte zu haben und unabhängiger zu sein und mit älteren Kindern oder jungen Kindern, die auch viel Kontakt zu anderen oder Geschwister haben und ich somit nicht den ganzen Tag dafür da bin, ein Kind zu unterhalten.
Das wichtigste, was ich so gelernt habe war, wieder meiner eigenen Wahrheit zu folgen. Mich nicht zu sehr von anderen Lebensweisen beeindrucken zu lassen. Dinge mehr zu hinterfragen. Mir über meine Werte bewusst zu werden. Einfach wieder zu mir selbst zu finden.

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